Donnerstag, 22. März 2012

Thomas Berry: Eine Vision für die Zukunft

"Es ist schließlich die Erde selbst, die uns das Leben schenkt, erhält und mit ihren Wundern erfreut. Wir sollten daher die intellektuellen, politischen und ökonomischen Orientierungen sorgfältig erwägen, die uns dazu befähigen, unseren geschichtlichen Auftrag auszuführen: einen lebensfähigen Weg in die Zukunft einzuschlagen.
Ähnlich wie der Künstler, der ein bedeutendes Werk hervorbringt, zunächst etwas dem Traumbild Vergleichbares erfährt, das sich während des Schaffensprozesses zunehmend erhellt, müssen wir zuerst über eine Zukunftsvision verfügen, die uns bei der Transformation des Menschheitsprojektes, die sich derzeit vollzieht, unterstützt. Als eine solch tragfähige Vision verstehen wir im Folgenden diejenige einer heraufziehenden „ökozoischen Epoche“ – also derjenigen Ära, in der die Menschen ein von beiderseitigem Nutzen geprägtes Verhältnis zur Erde gewinnen.
Es wird nur dann eine Zukunft für uns geben, wenn wir das Universum als eine Gesamtheit von Subjekten verstehen, mit denen wir in Gemeinschaft leben, und nicht als Summe von Objekten unserer Ausbeutung. Der „bloße Nutzen“ als primäre Beziehung zum Planeten ist zurückzuweisen. Da es äußerst schwierig ist, einer großen Zahl von Menschen Nahrung, Unterkunft und Lebensunterhalt zu sichern, hängen diese Ziele von unserer Fähigkeit ab, die natürliche Umwelt so zu erhalten, dass diese letztlich uns erhält. Sämtliche Wissenschaften und Technologien und alle unsere sozialen Institutionen können ihre Aufgaben nicht richtig erfüllen, wenn die ökologischen Systeme nicht mehr richtig funktionieren.
Es ist die enge Vertrautheit mit dem Planeten in seiner wunderbaren Schönheit und dem vielfältigen Reichtum seiner Sinnebenen, die dem Menschen eine funktionierende ganzheitliche Beziehung zur Erde ermöglicht. In ihr liegt der einzige Weg des Menschen zu einem wahrhaftigen Gedeihen, das auch die anderen Lebensformen auf der Erde in ihrem Dasein achtet. Unser Auftrag, mit der Erde in eine neue Gemeinschaft zu treten, kann nur verwirklicht werden, wenn wir uns der Erhabenheit der Existenz nicht verschließen und jene geheimnisvollen Kräfte feiern, aus denen alles um uns her erwachsen ist.
Nahrung für die Seele wie für den Körper wird es nur geben, wenn wir uns alle als miteinander verbunden empfinden, oder es wird sie überhaupt nicht geben. Diese Aufgabe zu verstehen und auf ihre Erfüllung hinzuarbeiten, ist die große zukünftige Herausforderung, vor die wir in diesen ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts gestellt sind."